Bilder/Farbspuren

Bilder/Farbspuren

Bosch. ´sHertogenbosch. Die perfekte Äquilibristik der Katastrophe. Das Gleichgewicht bestand nur kurze Zeit. Bald wankte es, dann brach es zusammen, um sich später neu zu organisieren. Der Garten der Lüste ist bereits im Paradies heteronom konstruiert. Bosch kannte die gemeinsame Wurzel der moralischen Zustände. Bosch ist der Hexenmeister des Gleichgewichts der Katastrophen. Das Einfrieren der Bewegung erlöst von den Schrecken, die kommen würden. Sollte alle Malerei den Anspruch der Bewegung hintertreiben? In der Rekonstruktion lässt sich jedes Leben als eine Bewegung von Katastrophe zu Katastrophe beschreiben. Katastrophen in diesem Verständnis sind ambivalent, sie setzen Endpunkte und sind Neuanfänge.

Comic. Comics erscheinen leichtfüßig, huschen vorbei, entfalten sich und versprechen mehr. Die Flachheit des Comic regt den Glauben an ein Leben hinter den Bildern an. Die Farben verlangen nach Brechung. Das Unformulierte regt Fantasien an. Im Reich der flüchtigen Bilder entstehen nur selten Tafelbildqualitäten. Instantane Bilder haben die Traditionen desavouiert, aber die "Illustrierten Klassiker" waren die Freuden meiner Jugend - neben "Lurchie". Busch und Crumb sind die Hexenmeister dieses Mediums. Möbius, Creepax, Bilal und unzählige andere Stricher ihre Vollender. Eigenartigerweise waren Comics früher kein Hinderungsgrund, Originalwerke zu lesen. Wahrscheinlich lässt sich nur pastörlich sagen: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, unterscheidet gute und schlechte comics." No doubt - Disney ist der Verrat an den Bildern, nimmt eher die Lust an den Bildern, als dass er sie gibt. Die Zeit der großen Alben ist vorbei: Bilder müssen laufen, und Comics laufen nur in der Fantasie. Diese Fantasie fehlt in der Zukunft, wenigstens will kaum jemand diese Fantasie anstrengen, wenn wir doch im Schlaraffenland einer selbstläufigen Ästhetik leben.

Entsublimierung. Die Kunst hat es mit der von Freud verordneten Sublimierung nie genau genommen. Boucher, Klimt, Renoir, Bellmer haben die Kunst lustvoll der sexuellen Fantasie gewidmet. Psychoanalytische Kunstheorien überzeugen wenig, wenn sie einen universalen Begriff von der Kunstwerkgenese geben wollen. Jeder vertikale Gegenstand mag ein Phallus sein, aber was wäre wenn ein Baum auch ein Baum ist?

Minimalismus. Wenn sich der Minimalismus nicht nur auf die Anstrengung der Künstler bezieht, sondern zu einer Purifikation der Kunst wird, werden wir ihm das Wort reden. Gleichwohl ist Minimalismus nicht mehr als die Vorbereitung einer Klassik, die aus den Anfängen heraus konstruiert. Minimalismus als das exercitium der Künstler nach der Kunst.

Maximalismus. Die eigentliche Kunstrichtung der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts ist der Maximalismus. Aufplustern und Platzen.

Herbst der Kunst. Ästhetik verbindet sich gerne mit der decadence-Opulenz des Herbstlaubs. Huysmans auf dem Strich des ennui.

Dasselbe. Wenn zwei Kulturen "dasselbe" sehen, ist es nicht dasselbe. So wurde der "Expressionismus" Afrikas zwar in die moderne Plastik des europäischen Expressionismus eingebunden. Die "Expressivität" der Eingeborenenkunst stand aber bei ihren Urhebern in einem anderen funktionellen Bezugsrahmen, als er europäischer Rezeption zugrundelag. Auch die Farbensemantik hat sich kulturell verschieden entwickelt, obwohl hier psycho-physiologische Konditionen keine freien Codierungen eröffnen. Rot könnte niemals als Farbe der Trauer eingesetzt werden. Grün könnte nicht als aggressive Farbe gelten.

Futurismus. Verdacht gegen alle Zeitströmungen, die auf die Zukunft als Deckungsreserve verweisen. Darauf gibt keine Bank Kredit. Wie viel weniger eine Kultur mit einem ausgeprägten Sinn für die Paradoxie der Zukünftigkeit. Längst ist alle Zukunft desavouiert in ihrer hypothetischen Geschichte. Wir stehen auf einem Förderband und befürchten, dass die Kohle zu den Rändern wegrieselt.

Die Erschießung der Aufständischen. Kunst kann kein Protest mehr sein. Wen bewegen Schreckensbilder, die von realen und imaginierten Schreckenszenarios längst überboten werden? Fotografisch aufgerüstete Kriegsberichterstattung hat die bedeutungsheischende Kunst eines weiteren Großthemas beraubt. Im Zuge des Golfkrieges ist nicht eine Ikone entstanden, die den Schrecken spiegelt, der sich hinter der gesäuberten Videoleinwand versteckte. Auch der mit der imperalistischen Bilderflut wachsende Analphabetismus lässt die Bilder nicht sprechen. Sprachlosigkeit ist ein über-sinnliches Phänomen. Es stellt sich in jedem Sinn ein, verbreitet sich. Wo ist da noch eine Heimat? Wo sind da noch Remedien?

Klagemauer, pittoresk. Schon längst stellt sich die Frage, ob Guernica ein Memento mori ist oder nur ein Kapitel der Kunstgeschichte beinhaltet - nicht mehr die Schrecken des Krieges, sondern ihre Verarbeitung zu Kunsttapete. Der Krieg ist eine schreckliche Kunst, mit der Kunst ist ihm nicht beizukommen. Wo immer die Funktionen der Kunst zu verorten sein mögen, Kunst ist keine reale Gegengewalt gegen die Krieglüsternen. Kunst benötigt lange Wirkungszeiträume, um Bewusstsein zu beeinflussen. Ihr Wirkungsgehalt ist subtil, schwankend und abstrakt.

Kunstgeschichte. Feierte im Barock das Fleisch seine Größe, so war der Körper noch kein Schlachtfeld der Chirurgen. Wattiert wurde damals, wo heute Plastikaufgüsse Volumen versprechen. Roben, Röcke und Rüschen inszenierten den begehrlichen Körper, ohne ihn zu zeigen. Gegen die Prätention der Alten feiern wir die Digitalpräzision der Neuen. Superbodycorrectness war der Dauerauftrag der Maler. Auch wenn die Anatomie, wie etwa bei Rubens Helene Forment im Pelz, demontiert wurde, gab es eine höhere Körperwahrheit, die auf der Jakobsleiter des Weltversprechens in unendliche Lusthöhen steigen wollte. Der barocke Körper formierte sich transzendental-anatomisch in Lebenslust und Todesfrust zur vergänglichen Gottähnlichkeit. Antoine Watteau porträtierte im 18.Jahrhundet eine Gesellschaft im Freien. Adlige Damen und Herren tändeln durch eine imaginäre Traumlandschaft. Unter den Röcken ist der Teufel los. Zerstreuung, Müßiggang und kultivierte Lüsternheit bestimmen eine feine Gesellschaft, die auf dem absterbenden Ast sitzt. Schließlich wird sie liquidiert. Die Geschichte verschließt die Akten mit Blut. Die Lasuren Watteaus werden zum lasziven Nachglanz einer lustgeladenen Epoche.

El Greco. Frühester Expressionist. Wie wenig die Zeitgenossen sahen, wird hier deutlich. Der Maler hätte verbrannt werden müssen in seiner expressiven Frömmigkeit. Der Blick des kreuztragenden Christus (Prado) hat zwar zugleich die ästhetische Qualität von Devotionalienmalerei, aber hier wird abstrakten Verhältnissen der Weg bereitet.

Zurbaran. Für seine Stillleben geben wir jeden seiner Mönche frei.

Ribera. Der Junge mit dem Klumpfuß schaufelt ein riesiges Thema frei: Die Bereitschaft, im Unvollkommenen das Vollkommene zu sehen. Einheit der Differenz.

Velazquez. Die Scham des Höflings über die Malerei als ihre beste Voraussetzung.

Goya. Maßlos überschätzt, weil er die Themen des 20. Jahrhunderts kannte. Seine Porträts sind grauenhaft, erst als er das Grauen malt, ordnen sich Form und Inhalt untrennbar einander zu.

Fohr. Unübertreffliche Porträts, der Bleistift als unwirkliches Instrument.

Janssen. Ein Vertreter der Griffelkunst, elegante und aufbrechende Linien, zerfasernde Schatten, immer ein bisschen schmuddelig, oft auch in der Themenwahl, aber in einer Spannbreite, die wenige besitzen. Weise Beschränkung auf die Zeichnung. Aber reichen Zeichnungen noch, um die Dinge zu bezeichnen?

Courbet. Die Malerei bekennt sich zur Lust. Ein Beispiel mehr, dass Kunst in der Einheit der Differenz von Sublimierung und Entsublimierung ihre Themen finden kann. Der "Schlaf" präsentiert eine Szene, die Traum sein könnte, aber nicht weniger drastische Sexualität ist. Courbet ein früherer Illustrator psychoanalytischer Gewissheiten.

Ingres. Unglaublich kleine Zeichnungen mit präzisen Physiognomien, thumb-nail-pictures. Immerhin spricht für den Klassizismus der Versuch, in der Kontur seinen künstlerischen Anspruch zu verifizieren. Nach den unzähligen expressionistischen Versuchen besticht die Schlichtheit, auch wenn wir sie nur noch ideologisch sehen können. Wir haben die Einheit eines Stils verloren und hoffen auf Wiedergewinnung.

Techniken der Kunst. Nicht wenige Künstler reagieren mit Anhub der modernen Reproduktionstechniken in ihrer Mittelwahl gegenstrukturell: Holzschnitte gegen Filme etc. Aber letztlich schlägt die moderne Reproduktionstechnik jeden Verweigerer. Van Gogh, der Leidende an sich und der Welt, wird posthum zu Tode reproduziert. Keine Authentizität soll sich gegen den Mythos der Reproduzierbarkeit der Welt behaupten.

Apologeten. Künstler mit offenen Augen haben in ihren Allegorien der blinden "Justitia", vom jüngsten Gericht bis zum letzten Gerücht, von Christus als himmlischer Superrevisionsinstanz bis zu Christo als Reichstagsverpacker Recht legitimiert - aber auch verspottet. Künstler sind mithin gefährliche Apologeten, letztlich unzuverlässig. Während sie Wahrheit prätendieren, suchen sie sujets. Für Künstler gilt: Trau, schau, niemand.

Laokoon. Das klassische Bildungsbürgerressentiment gegen das Fernsehen steht im auffälligen Widerspruch zur Allinformiertheit der allseits Verkabelten. Ein emanzipatorischer Umgang mit dem Medium ist nur eine Gesprächsfiktion der intellektuellen Smalltalks. Das beherrschende Muster des Fernsehens findet in der Allegorie eines kabelumschlungenen Laokoon seinen Ausdruck, der vergeblich sich zu befreien versucht.

Mittelalter. Arm an Muskeln, Bäuchen und Brüsten ist das Mittelalter. Arnolfini programmatisch. Dürer ist kein erotischer Körper gelungen, er hat ihn nicht einmal gesucht. In seinen Anleitungen für Maler hat er die Enthaltsamkeit als Voraussetzung für Kunstproduktion postuliert. Es bleiben die sublimierten Arabesken der Lust. Das Mittelalter als abbildungsfeindliche Lust der reinen Form. Mithin: es gibt keine deutsche Renaissance, sondern nur eine nichteingelöste Italiensehnsucht, die bis in 50er-Jahre hinein besteht. Diese Sehnsucht zielt auf die Erotik des Südens, auf warme Farben, auf sanfte Menschen - mit Mafia, Camorra, Mob wurde diese Hoffnung weggewischt.

Moderne Kunst. Zumeist Ausfälle, die als Einfälle ausgewiesen werden.

Museum. Kultureller Sicherheitsbereich. Ihre Provenienz aus dem fürstlichen Raritätenkabinett ist unübersehbar. Pädagogisch wurden Museen nie hochgerüstet. Museen blieben Magazine mit Vitrinen für die, die damit umgehen können.

Purismus. Sedlmayr hat auf die Abstraktion im Sinne einer Subtraktion sämtlicher außerkünstlerischer Anteile im Kunstwerk hingewiesen. Es bleibe nur ein autonomer, aber folgenloser Ästhetizismus übrig. An der Kritik stört der Voluntarismus - als ob Künstler ihre Kunstwerke auch anders konstruieren könnten. Das mag zwar in aller Produktion vorausgesetzt werden, auch wenn von innerer Notwendigkeit die Rede ist. Aber ohne der Affirmation das Wort zu reden, ist Hegels Diktum, das Wirkliche sei vernünftig, dahin aufzunehmen, dass nie etwas anders sein kann als es ist.

Das unbekannte Kunstwerk. Jedes Kunstwerk ruft spätestens nach langer Schau ein unabweisbares Gefühl des Ungenügens hervor. Jede Individualität stößt sich am Anderen, das auch größte Geistesverwandschaft nicht zuschüttet. Deswegen bleibt jene letzte Perfektion dem unbekannten Werk vorbehalten. Ein Werk, das perfekt sein wird, weil es nicht ist. Sollte diese Betrachtung verallgemeinerungsfähig sein? Erkennen wir zuletzt auch in höchster Perfektion der Natur den Mangel? - eingedenk Oscar Wildes Klage über die Zweitklassigkeit der Natur gegenüber den idealen Landschaften der Maler. Wäre danach der Idealismus in der Kunst ein Reparaturversuch gegenüber der Unvollkommenheit der Schöpfung, ist der Idealismus der Wahrheitssucher blanke Lüge.

Verfall der Technik. Im zwanzigsten Jahrhundert rücken Verfahren an die Stelle von Handwerk. Imitatio wird verfemt. Künstler entwickeln Bildneuheiten, die fehlendes Begreifen ersetzen. Besser grotesk, skurril, innovativ, wagemutig etc. als hilflos erscheinen. Schließlich wird das Hilflose voluntaristisch umgedeutet. Der Künstler behauptet: So wollte ich es! Aber macht das seine Entwürfe besser? War es nicht vordem ehrlicher, sich als Werkzeug Gottes begriffen? Aber diese Entwicklung ist auch nur Nabelschau. Die Gesellschaft braucht keine gelungenen Kunstwerke, die Gesellschaft braucht Kunst, für die Evaluierung wird immer und überall gesorgt.

Will Mc Bride. Fotografien werden zumeist erst interessant, wenn sie in die Jahre kommen. Die Schnappschüsse und instantanen Zeitdokumente werden historisch, schließen die Lücken der eigenen Erinnerung. Die verlorene Zeit wird nicht gerettet, aber wundersam vertraut in der Entfernung. Bilder, die vormals nicht anders als "jetzt" gesehen werden konnten, laden sich mit unzähligen Wirklichkeitspartikeln auf. Alte Hemdenmuster, fossile Automarken, eine weggeworfene Rama-Packung, progressive Haarschnitte...die Ansprüche des gestrigen Tages haben wir nicht ganz vergessen, in unserem ausgedünnten Erinnern werden vormalige Wichtigkeiten zu pittoresken Details einer kollektiven Biografie, die zugleich unsere eigene ist. Die Retrospektive macht das objektiv, was zuvor zufällig oder beliebig erschien.

Sieff. Ein Fotograf mit verhaltener Laszivität, den romanischen Schwellungen, sanften Hügeln und Schattierungen verbunden. Aktfotografie als Landschaftsmalerei.

Helmut Newton. Starke Körper auf high heels, schwarze Dessous und Leder haben der feministischen Teufelsaustreibung Probleme bereitet. Das fotografische Objekt ist immer der Willkür des Fotografen ausgesetzt. Kein Objekt kann sich von der Lust des Schöpfers freisprechen. Der Chauvinismus Newtons ist fragil, weil er zugleich die Angst vor dem Objekt nährt. Newton ist Mamas braver, präpotenter Onanist wider die selbstbewusste Lust.

Eric Kroll. Der neue Vater der Fetisch-Girls lustwandelt auf den Leder- und Lackspuren von John Willie und Eric Stanton, den vormaligen sadistischen Komikern für den Allamerican-Boy. Unglücklich begluckt von der amerikanischen Übermutter werden zotige Gegenbilder entworfen. Nicht die Reise in das Unbewusste, sondern auf die Oberfläche von Haut und Material soll die verstörten males von ihren Familien befreien. Fesseln ersetzen die Familienbande. Fetischisten sind hinter ihrem ritualischen Ernst, mit dem sie die Familie austreiben, lustige Leute. Der pervertierte Trieb treibt den Ernst der Lust zur freiwilligen Komik. Der Trieb lacht ab jetzt über sich selbst und sein fesselndes Schicksal. Den schwarzen Korsettagen und proportionierenden strings korrespondieren die üblichen Seidenträume. Die Bedrohung durch Dominanz soll künstlich oder gar nicht sein.

Dali. Ein Faszinosum, dem man sich schlecht entziehen kann, auch wenn der selbst ernannte Kitschier Wege aus der Bewunderung bereithält. Aber Dali ist so bizarr, dass nur permanente Betrachtung geeignet ist, sich von ihm zu entfernen. Traumbilder, die fest halten, was sonst flüchtig wäre.

Magritte. Konzeptkunst in der Art "Der Müller mahlt und der Maler malt, also ma(h)len beide". Seine Peinture ist grauenhaft.

David Hockney. Ohne peinture, aber mit wunderbar antiquierten Farben. Blass wie alle britischen decadents. Ein prosaischer Bruder Oscar Wildes.

Norman Rockwell hat alles verraten, was die Kunst wert macht. Er hätte das Zeug zu einem Maler gehabt, wenn er nicht die verlogensten Verlogenheiten vorgezogen hätte. Solche Künstler sind biblisch aus dem Haus der Kunst zu vertreiben.

Baselitz. Beruhigend, dass diese Kunst nebst Penck, Kiefer, Immendorff, Twombly und ein paar Dutzend anderen so called famous painters nicht über den nächsten Tag hinauskommt. Wer wird diese Leinwände in Zukunft für wichtig halten können? Guckt euch die Bilder noch einmal an - so oberflächlich hinsehen, wie sie gemalt wurden. Hier ist selbst Kritik zu viel, weil es nichts zu greifen gibt. Letztlich wird niemand der Kunst ihre Ausrutscher vorhalten wollen, die Museen sind ohnehin überladen wie alte Gewürzkaravellen und ein Baselitz mehr oder weniger ist so bedeutsam wie der sprichwörtlich in China umfallende Sack Reis. Die Begriffsstutzigkeit der Kritiker liegt in ihrer Bereitschaft, sich idiosynkratisch auf jede Marotte (Bilder umdrehen!?), jeden Flecken von zweifelhafter Provenienz einzulassen. Das Armseligste sind die malerischen Ausreißversuche gegenüber einer Moderne, die längst alle diese Verfahren, zumeist besser, parat hält. Dass die Malerei zu einer langweiligen Faktur geltungssüchtiger Schausteller verkommen ist, verdanken wir der Allianz der Maler mit Geschäftemachern. Gleichwohl wäre Mitleid mit dem Publikum fehl am Platz. Die Herren Maler rächen aufs Grausamste die schändliche Behandlung ihrer verstorbenen Kollegen. Van Gogh musste leiden, damit es seinen Nachfolgern wohl ergehe auf Erden. Das ist die Wahrheit in der Malerei, Herr Derrida. Da fällt mir noch ein: Polke. Den habt ihr euch auch verdient - so wie Tui-Urlaub in der fünften Hotelreihe hinterm Strand. Kein Wort mehr über diese abgestandene, sich selbst wiederholende Ironie. Camouflage all das, was ohne Theorieunterfutter als das wahrgenommen würde, was es ist, d.h. nicht ist.

Rainer Fetting. Das Dilemma, dass nur Vergröberung vor dem Plagiat schützt. So werden expressionistische Einfälle, d.h. Methoden, von Fetting übernommen, blow up, die Leinwand leert sich, wird flächig, schmutzig etc.

Vernissage. Prätention, dass die Bilder noch frisch sind. Beweis: odeurs. Zumeist ist nur die Prätention odios.

Ornament. Ornament ist kein Verbrechen, eher eine harte Nuss für Hermeneutiker. Die Geschichte des Ornaments ist eine Verfallsgeschichte, die revidiert werden muss. Wie treibe ich die reine Form auf den Inhalt? Hier zeigt sich am reinsten die Unmöglichkeit, Formen und Inhalte sinnfällig zu unterscheiden. Dialektischen Vermittlungen stehen unüberwindbare Hindernisse entgegen. Ornament wäre zu erklären aus der Lust an Struktur, Repetition, einer Als-ob-Inhaltslosigkeit, die ihre Scham gegenüber den Dingen bekennt.

Sammler. Peter Ludwig ist tot (Juli 1996). Wie kann einer Ruhm dadurch begründen, dass er Unmengen von Bildern kauft? Dieser "way of fame" funktioniert nur in Kaufmannsgesellschaften. Aber nehmen wir den Sammlern nicht ihren Anspruch auf Unsterblichkeit, wenn sie ihren Namen auf ihre Kollektionen pappen. Ob ein Museum "Ludwig" oder "Guggenheim" heißt, ist den Bildern egal. Danach können wir auch den Japanern verzeihen, dass sie sich Europas Kunst einverleiben wollen, solange sie unsere großen Relikte nicht unwiderbringlich ins Grab mitnehmen wollen. Da sei der Fiskus vor.

Warhol. Warhol´s Pop-Art ist hermeneutisch so griffig, dass hier jeder in etwa 15 Minuten das Wesen der Kunst verstehen kann. Der Abfall von der Hochkunst durch Abfall. Warhol ist weder kryptisch noch raffiniert. Das Warhol´sche Gesamtlebenskunstwerk ist im Guiness-Buch der Rekorde als das langweiligste aller Zeiten zu verzeichnen. My boredom come. For ever. Aber jede Geschichtsschreibung lebt davon, dass sie auch denen Platz macht, die als Vollender auftreten. Mag auch das Ziel vor der Nase jedermanns liegen.

Hamburger Bahnhof, Berlin. Schon wieder eine Kunsthalle, die das Allbekannte multipliziert: Beuys, Kiefer, Naumann, Long, Merz etc. Unheimlich, dass kreative Sphären von Statthaltern der Langeweile verwaltet werden dürfen.

Picasso behauptete, ein Bild sei die Summe seiner Zerstörungen. Weniger martialisch gilt: Ein Bild ist die Summe seiner Geltungsansprüche, jede Leinwand ein dynamisches Forum, auf dem Ansprüche verhandelt und ausgeurteilt werden. Der Maler geht mithin auch einer forensischen Tätigkeit nach.

Schwarze Bilder. Wilde Riesen Goyas erträumt. Das Schwarze ist das Erhabene. Richard Serra, Ad Reinhardt in immer währender, dantesker Dunkelheit.

Segantini. Ein Meister des flirrendenden Lichts. Die Irrungen und Wirrungen der Physik. Zugleich liegt aber ein dunkler Schleier der Trauer über diesem Licht. Diese antipodische Metaphorik ist in der Kunst selten.

Pointillismus. Welche Fron, Pünktchen zu häkeln, bis ein Bild heraus-kommt. Aber wann kommen schon je Bildduktus und Duktus der Malweise zur Deckung? Das große Programm der Expressionisten. Zumeist sind Frische und Spontaneität hart erkämpft. Nicht unähnlich Pointen, die mühselig ersonnen werden. Geistesblitze haben eine komplizierte Logistik, die eine nicht länger wahrgenommene Mühsal beinhaltet.

Disney. Glätte ohne intesteriores, mithin das aufrechte Menschenbild einer Aufklärung, die im Tier den vom Körper befreiten Menschen beschwört. Gründlicher kann man die Brüder Grimm nicht missverstehen.

Sitzen geblieben. Der dromologische Rausch einer ästhetisierten Maschinenlebenswelt wie ihn die Futuristen begriffen, findet im Schützengraben ein schnelles Ende. Erst heute können die Futuristen ihr Ideal eingelöst finden: Bewegung ohne Hoffnung auf ein Ende.

Symbolismus. Sollten wir den Symbolismus nur verachten, weil wir die Zustände einer ver- und durchträumten Welt nicht mehr akzeptieren? Letztlich doch alles recht amüsant. Ein bisschen Schaudern, ein bisschen Weltuntergang - aber nur bis zum Fünf-Uhr-Tee. Dorian Gray ist keine Tragödie, keine gothic novel, sondern ein distinguierter decadent. Das gilt für alle Semantiker, die ihre schöne Form durch Betroffenheit nobilitieren. Als ob wir nicht alle betroffen wären - ohne Kunst und Künstler. Wer braucht schon Nachhilfeunterricht im Schrecken, solange es CNN gibt?

Fernweh. Ensor: Inhaber eines Kram-Ladens in Ostende. Seine Masken sind so bedrohlich wie der Karneval. Bunt und harmlos. Verwandte Posadas, Skelette, die um Tote kämpfen, Bewohner des Narrenschiffs, Marzipanwachs und Zuckerguss. Bangemachen gilt nicht! Die Sehnsucht nach Exotik ist Küstenbewohnern eigen. Sie hören in jedem Rauschen der Muscheln die Inseln jenseits des Horizonts. Symbolistische Meerschaumreisende. Belgien ist der Symbolismus schlechthin, vielleicht weil das Nationale keine Form hat. Was in unseren Erlebnisparks fehlt, sind die Rekonstruktionen der unendlich scheinenden Kabinette mit unzähligen Türchen, Fächern, Schubladen, um das Fremde zu sammeln. Disneyplastik ist so unexotisch, weil die Oberflächen kein "Dahinter" zulassen: Eine Mickey Mouse ist eine Mickey Mouse ist eine Mickey Mouse...

Synästhesie. Der sinnliche Mangel eines Mediums wird im Rezipienten ausgeglichen. Schon Rudolf Steiner hat in seinen pädagogischen Ansätzen auf die sinnliche Produktion von komplementären Farben hingewiesen, die in Opposition zu den tatsächlich verwendeten Farben gesehen werden. Gilt das auch für Semantik? In dieser Wahrnehmungsdialektik versöhnte sich der Schrecken mit seinem Gegenüber. Katastrophen werden zu Glücksversprechen?

Vermeer. Perfektion der Verschränkung von sichtbaren und unsichtbaren Räumen. Vermeer ist der Regisseur in einer Interieur-Lebenswelt, die zugleich völlig global ist. Transit-Räume wie Flughäfen avant la lettre. Vielleicht ist Vermeer ein Zeitreisender gewesen. Seine offene Biografie und sein großes Miniaturwerk sprechen dafür.

Die Breughels. Plattländer, die nicht himmelwärts streben, sondern auf der Erde stehen. Pieter der Ältere allen voran, Jan vielseitig und leicht kapriziös, Pieter der Jüngere epigonal.

Tafelbilder. Wenn auch die mächtige Tafelbildtradition von der Renaissance über den Barock zu den eklektizistischen Exzessen der jüngsten Zeit die doors of perception weit aufstoßen wollte, schlugen die Türchen und Fensterchen doch schnell vor den Schaulustigen wieder zu. Der Futurismus, angeschlagen von der Bewegungskunst der movies, idealisierte eine Dynamik, die doch nur einer synchronischen Bildstatik folgen konnte. So redete Marinetti zwar in Manifesten von der Ästhetik des Rennautos, aber gemalte Maschinen besitzen keine Pferdestärken. Erst der Film vollendete einige der kühnsten Extrapolationen der Malerei, wie jedes avancierte Medium die Träume der Vorgeneration erfüllt. Mit dem Fernsehen wurde der Film in ein flexibleres Distributionsnetz gestellt. Von nun an gab es Programme, das Medium Film wurde diversifiziert. Vor allem aber veränderte sich der Betrachter: Unser Fernauge wurde zum allmächtigen Sinnesorgan jenseits der engen physiologischen Grenzen eines naturalen Environments. Immer mächtiger rüstete die Satellitentechnik das Fernsehen zum Supermedium auf, so als ob kein Ding mehr unter der Sonne sei, das sich unbeobachtet fühlen durfte. Das Kameraauge wurde zu unserem gottähnlichen Auge, zu einem allmächtigen Aleph, in dem sich alle Strahlen der Welt bündeln. Das Fernsehen stülpte die Sinnesorgane zu mächtigen Fühlern aus, bis sich die Welt in Mikro und Makroskopien zur Totalperspektive des globalen Dorfs vermählte. Die Realfantasie des global village bewegte sich mit der Lichtgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen. Der Raum wurde temporalisiert, die Herrschaft über die Zeit schuf einen Raum jenseits der bekannten Örter. Die konvertierte Zeit-Raum-Struktur der Dörflichkeit verhieß aber nicht länger die kommode Lebensweltlichkeit des einfachen Lebens. Das Mediendorf erschloss sich eher als ein panoptisches Gefängnis der Sofareisenden, die alles beobachteten, ohne in die äußere Welt einzudringen. Der Riss des subjektiven Raum-Zeit-Kontinuums veränderte den stammesgeschichtlich erprobten Erfahrungsmodus. Das Lebensgefühl verlor mit den Verzerrungen der subjektiven Zeit seinen Rückhalt in der Organizität einer natürlichen Umwelt. Plastik-Welten.

Wilde Gesichter. Donatellos Condottiere. Leonardos Fratzen. Messerschmidt.

Anti-Winkelmann. Stille Geilheit, edle Blöße. Diesen Antikengläubigen ist die Lust abhanden gekommen, die ihre Idole im reichen Maß besaßen. Die deutsche Klassik wurde immer noch ad usum delphini kredenzt. Erst Foucault hat die Antike wieder mit den Lüsten verbunden. Foucaults Biografie hat diesen Anspruch eingelöst. Der erste Philosoph in Lack und Leder. Seine confessio: "Keine Trauer, wenn einen die fröhliche Lust mit dem Tode bestraft".

Quelle: goedartpalm.de

 

 

В. Богунова ã, Москва, 2002 г.

А.Кубрин. Герб РФ, 1995. Маркетри.

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