Tokios unheimliche Dschungelkrähen

Tokios unheimliche Dschungelkrähen

Die "SZ" besingt Monteverdis großes Welttheater, das in der Berliner Staatsoper zu besichtigen war. Die "NZZ" erzählt die Geschichte der russischen Islamophobie. Die "taz" hält den Mord an Hrant Dink für ein politisches Attentat.

Neue Zürcher Zeitung, 22.01.2007

Ulrich M. Schmid zeichnet Russlands Verhältnis zum Islam von Puschkin bis heute nach. Romantische Verehrung wurde nach der russischen Revolution von Überfremdungs- und Terrorangst abgelöst. "Russland wäre allerdings nicht Russland, wenn es im Spannungsfeld zwischen Nationalismus und Islam nicht auch bizarre Allianzen gäbe. Gejdar Dschemal (geb. 1947), einer der profiliertesten Führer der russischen Muslime, versuchte in den neunziger Jahren wiederholt, antiamerikanische Koalitionen zu schmieden. Nachdem seine Idee einer Vereinigung europäischer Muslime aus dem Jahr 1992 gescheitert war, schlug er 1999 in St. Petersburg einen Bund zwischen der Orthodoxie und dem Islam in Russland vor, um die kulturelle, wirtschaftliche und militärische Dominanz der USA zu bekämpfen. Dschemal ist pikanterweise mit dem Gründer der Nationalbolschewistischen Partei und Skandalschriftsteller Eduard Limonow befreundet. 1996 erreichten beide mit vereinten Kräften, dass Salman Rushdies 'Satanische Verse' nicht in Russland erscheinen konnte."

Urs Schoettli ist überzeugt davon, dass Japan - trotz steigender Konkurrenz von China und Indien und drohender Überalterung - auch in Zukunft eine führende Rolle in der Welt spielen wird. "Heute sind in Japan rund sechzig Prozent aller Frauen im Alter von 30 Jahren unverheiratet, und bei den 34-Jährigen haben noch immer rund vierzig Prozent keinen Bund fürs Leben geschlossen. Der Volksmund bezeichnet diese jungen Frauen, die häufig noch bei den Eltern wohnen, als 'parasitische Junggesellinnen'. Bereits in dieser Bezeichnung, die in einem Land mit einer außergewöhnlichen Hochachtung für gegenseitige Verpflichtungen einen prononciert vorwurfsvollen Unterton enthält, zeichnet sich ab, wohin in Zukunft die Entwicklung gehen wird. Die Allgemeinheit, die sich auf einen Gesellschaftsvertrag mit gegenseitigen Verpflichtungen berufen kann, wird für die demographische Kurskorrektur besorgt sein." (Gehören die Frauen nicht zur Allgemeinheit?)

Weiteres: Andrea Köhler berichtet von öffentlich ausgetragenen Fehden in den USA: der Fahrer von Yoko Ono drohte, deren Privatleben im Internet auszubreiten, Donald Trump drohte Barbara Walters ähnliches an. Che. schreibt zur Eröffnung der 42. Solothurner Filmtage. Besprochen werden Ausstellungen von Dan Flavin in der Münchner Pinakothek der Moderne und von Cerith Wyn Evans in der Städtische Galerie im Kunstbau München.

Frankfurter Rundschau, 22.01.2007

Auf ihrer Jahrestagung sind die Publikumsverlage einen Schritt auf die Übersetzer zugegangen, meldet Jörg Plath. Das "Münchner Modell" könnte die Grundlage einer Einigung werden. "Es sieht weiterhin eine Garantiezahlung vor, die sich am üblichen Honorar je Seite orientiert. Neu ist eine prozentuale Beteiligung an jedem verkauften Buch und an allen Erlösen aus der weiteren Nutzung der Übersetzung, also etwa Einnahmen aus dem Verkauf der Hörspiel-, Hörbuch- oder Filmrechte. Außerdem soll ein Solidarfonds geschaffen werden, aus dem 'insbesondere Übersetzer anspruchsvoller und schwerverkäuflicher Werke zusätzliche Honorare erhalten können'."

Je komplizierter die Fernsehserie, desto erfolgreicher die DVD-Verwertung, erkennt Wilfried Urbe. In einer Times mager kommt Harry Nutt von Jörg Immendorffs Schröder-Porträt irgendwie auf die Mona Lisa.

Besprochen werden Andreas Kriegenburgs "ungewöhnlich strenge" Version von Arthur Millers "Hexenjagd" im Hamburger Thalia Theater, Rene Jacobs' Vereinigung von Monteverdis "Marienvesper" und dem "Combattimento" an der Berliner Staatsoper, sowie Andre Wilms' Inszenierung von Brechts und Weills "Dreigroschenoper" ohne "Originalitäts- und Aktualisierungskrampf" am Frankfurter Schauspiel.

Die Tageszeitung, 22.01.2007

Auf der Meinungsseite kann sich Dilek Zaptcioglu nicht vorstellen, dass der 17-jährige mutmaßliche Mörder des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink die Tat allein geplant hat. "Das Bild, das von ihm entsteht, prädestiniert den desorientierten Jugendlichen, der seine Zeit mit Gewaltspielen und Chatten im Internet verbrachte, zum Missbrauch als Auftragskiller. Eine Mitgliedschaft in den rechtsradikalen 'Nizam-i Alem' wurde dementiert. Die Aussage seiner Eltern, dass er zuletzt 'Unmengen von Geld' bei sich hatte und nichts über dessen Herkunft sagen wollte, rundet das Bild des durch Hintermänner genau geplanten und durchgeführten politischen Attentats ab. Ogün S. kommt vor ein Jugendgericht und wird wohl nicht länger als zehn Jahre im Gefängnis verbringen."

Jürgen Gottschlich fürchtet, der Mord könne den Demokratisierungsprozess bremsen: "Wer immer hinter diesem Mord steckt, welche verdrehte politische Absicht auch damit verknüpft sein mag, eines haben die Attentäter wahrscheinlich erreicht: Es entsteht eine diffuse Angst vor den kommenden Monaten. Angst, sich öffentlich mit einer kritischen Meinung, nicht nur zu der Völkermordfrage, zu exponieren, was an sich schon eine große Bedrohung für einen offenen demokratischen Prozess ist. Und Angst davor, was noch alles passieren kann in einem Wahljahr, in dem entscheidende Weichen für die Zukunft des Landes gestellt werden."

Im Kulturteil schüttelt Adrienne Woltersorf den Kopf über den sturen George Bush, der nicht auf eine einzige der 2000 Denkfabriken Washingtons hören will. Brigitte Werneburg hat sich in Berlin die Anliegen von kulturellen Fördervereinen angehört. Irene Grüter betreibt Übersetzer-Arithmetik und beklagt, dass der Boom der deutschen Autoren die Zahl der Übersetzungen vermindert hat. Tobias Rapp schreibt zum Tod des Publizisten und Herausgebers Uwe Nettelbeck. Tilman Baumgärtel fühlt sich von zerissenen Tiefseekabeln vor Taiwan in seiner Internetentfaltung gehemmt. Die einzige Besprechung widmet sich Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Arthur Millers Stück "Hexenjagd" als "kruder Zwitter" aus Ernst und Ironie.

Auf der ersten Seite kann die taz stolz melden, dass auf ihr Betreiben hin ein Teil der Kochstraße nun nach Rudi Dutschke benannt wird.

Und Tom.

Die Welt, 22.01.2007

Nach dem Mord an Hrant Dink veröffentlicht die Magazinseite ein schon etwas älteres Interview mit dem am Freitag ermordeten armenisch-türkischen Journalisten und Herausgeber der Zeitschrift Agos. Dink sprach über die vielen politischen Prozesse, die gegen ihn angestrengt worden waren: "In der europäischen Rechtskultur wird das Individuum vor Übergriffen des Staates geschützt. In der Türkei ist es genau anders herum, die Gesetze schützen den Staat vor dem Individuum. Das ist natürlich recht uneuropäisch." Zum Völkermord an den Armeniern sagt er: "Die Türken sind überzeugt, dass es keinen Genozid gab, und werden davon überzeugt bleiben. Beide Seiten sollten sich die Frage stellen, warum die Gegenseite so denkt, und Verständnis dafür entwickeln. Denn die Türken verabscheuen das Verbrechen 'Völkermord', sie können sich nur nicht vorstellen, dass ihre Väter das getan haben. Und die Armenier fühlen sich ebenfalls in der Schuld ihrer Väter. Die Türken müssen verstehen, dass das eine offene Wunde ist. Wenn beide Seiten einsehen, dass ein jeder im Grunde seine Vorfahren schützen will, dann sind wir einen Schritt weiter. Da hilft es nichts, Massengräber aufzugraben mit türkischen Opfern und dann den Armeniern zu sagen, sie sollen auch solche Gräber zeigen, mit ihren Opfern, wenn sie denn welche zeigen können."

Im Feuilleton berichtet Uwe Schmitt vom Erfolg der kanadischen Sitcom "Little Mosque on the Prairie", die mit muslimischen Humor für bemerkenswerte Einschaltquoten sorgt. Eckhard Fuhr war bei einer Lesung Christa Wolfs bei Suhrkamp. Hanns-Georg Rodek stöhnt über die zahlreichen Vor-Vor-Vorabmeldungen, die die Oscar-Akademy verbreitet. Anlässlich des Will-Smith-Films "Das Streben nach Glück" schreibt Peter Zander über Schauspieler, die mit ihren Kindern drehen.

Besprochen werden Luc Percevals "Inszenierung" von Monteverdis "Marienvesper" an der Berliner Lindenoper (der sich Perceval in Manuel Brugs Augen eher verweigert hat, doch Rene Jacobs Dirigat fand er ganz großartig), Andreas Kriegenburgs streng choreografierte Inszenierung von Arthur Millers "Hexenjagd" und Nick Rennisons Biografie "Sherlock Holmes".

Berliner Zeitung, 22.01.2007

Nikolaus Bernau kommentiert den Sturmschaden am Berliner Hauptbahnhof: Nicht dass sich ein zwei Tonnen schwerer Stahlträger aus der Fassade löste, ist für ihn der Skandal, sondern dass zwei Tonnen Stahl auschließlich der Dekoration dienten! "Dies Fassadendekor ist aber nicht modern - wenn wir hier modern verstehen als etwas, das in die Zukunft weist. Es unterscheidet sich nur in der Form, nicht aber im geistigen Gehalt vom Stuck vieler Mietskasernen und Beamtenvillen des späten 19. Jahrhunderts. Wurde damals die mittelalterliche oder die barocke Vergangenheit beschworen, wollten von Gerkan und die Bahn mit ihren grau gestrichenen Stahlgerüsten an die große Zeit der Bahnhofshallen erinnern. Mit dieser rein formalen Entscheidung wird jenen in die Hände gespielt, die die eigentlich umfassende Kunst der Architektur auf das Fassadendekor reduzieren."

Süddeutsche Zeitung, 22.01.2007

Christiane Schlötzer erinnert an den türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink, der am vergangenen Freitag ermordet wurde. "Türkische Extremisten aus dem extrem Rechten, aber auch aus einem Teil des extrem linken Spektrums hassten Dink, weil er wirkungsvoll war. Weil er als türkischer Staatsbürger mit armenischen Wurzeln seinen Landsleuten vor Augen führte, dass sie viel enger miteinander verwandt sind, als sie glauben möchten."

Reinhard J. Brembeck schwärmt von der geglückten Fusion aus Monteverdis Jubelgesang "Marienvesper" und dem Drama "Combattimento di Tancredi e Clorinda" an der Berliner Staatsoper. "Ein großes Welttheater also, das das gesamte Bühnenportal erfüllt - und so eine phänomenale Klanglichkeit garantiert, ein betörendes Zusammenspiel der Stimmen und Instrumente, die von oben, von unten, aus der Mitte, von links und von rechts ertönen. Rene Jacobs, 1946 geboren in Gent, gilt geradezu konkurrenzlos als Koryphäe für die italienische Musik zwischen Monteverdi und Mozart."

Weiteres: Willi Winkler pflügt durch Norman Mailers neuen, voerst nur im Original erhältlichen Roman "The Castle in the Forest". Tokio ist eine glückliche Metropole, meldet Florian Coulmas in der Reihe zu den Megacities voller Korrespondentenstolz, nur die tatsächlich etwas unheimliche Dschungelkrähe stört zunehmend die Harmonie. Jörg Magenau wundert sich über die vielen Pointen bei Henning Mankells "Berliner Lektionen" im Renaissance-Theater. Für spannende Minuten bei der ansonsten beschaulichen Verleihung des Bayerischen Filmpreises sorgten laut Fritz Göttler "Wer früher stirbt ist länger tot" von Marcus H. Rosenmüller und "Vier Minuten" von Chris Kraus.

Auf der Medienseite errechnet Michael Kläsgen, dass dem französischen Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy mehr Sendezeit zur Verfügung steht als seiner Konkurrentin Segolene Royal, was wohl auch am persönlichen Kamerateam liegt.

Die Besprechungen widmen sich Andreas Kriegenburgs Version von Arthur Millers "Hexenjagd" (dass Till Briegleb in Zukunft nur noch dort sehen möchte, wo Aufklärung Not tut, "im amerikanischen Bible-Belt vielleicht"), der Ausstellung "Nolde bis Beckmann - Jorn bis Richter" mit Werken aus der Sammlung Henri Nannen in der Münchener Hypo-Kunsthalle, Norah Jones' neuem "palmoliveweichen" Album "Not Too Late", Ryan Murphys "durchgeknalltem" Film "Krass - Running with Scissors", DVDs mit Paul Mayeda Berges Debütfilm "Die Hüterin der Gewürze" und Peter Greenaways "Four American Composers" und Büchern, darunter ein Band über "Erinnerungsorte der Antike", "Das Shakespeare-Archiv" auf 41 CDs sowie Albert Ostermaiers Gedichtband "Polar" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.01.2007

Heinrich Wefing berichtet im Aufmacher über einen Plan im Bundesbauministerium, der den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses preiswerter machen soll - so dass er gleichzeitig auch schneller zu verwirklichen wäre. Christian Geyer besichtigt bei einem Wochenendausflug und allzu mildem Klima die Zukunft des Planeten auf Sylt. In der Leitglosse mokiert sich Eberhard Rathgeb über die Managersprache in einem Strategiepapier der Evangelischen Kirche Deutschlands, das einen Mentalitätswandel der Institution fordert. Andreas Kilb unternimmt einen Rundgang über die Grüne Woche in Berlin. Gemeldet wird, dass der Mediziner und Autor Werner Schmidt (Vater der Verlegerin Ulla Unseld-Berkewicz) gestorben ist. Arnold Bartetzky resümiert ein Dresdner Symposion über den Wandel von Stadtbildern. Joseph Croitoru liest Osteuropa-Zeitschriften, die sich unter anderem mit der Vergangenheitsbewältigung in Polen befassen. Edo Reents schreibt zum Tod des Sängers Denny Doherty von "The Mamas & The Papas".

Für die Medienseite hat sich Michael Seewald Sendungen zum Karriereende Edmund Stoibers angesehen. Michael Hanfeld unterhält sich mit Pro 7-Geschäftsführer Andreas Bartl über die Programmpläne des Senders. Auf der letzten Seite kommentiert Heinrich Wefing das Berliner Bürgerbegehren für eine Rudi-Dutschke-Straße in unmittelbaren Nähe der Axel-Springer-Straße. Rüdiger Soldt porträtiert Cornelia Ewigleben, die erfolgreiche Direktorin des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart. Und Martin Wittmann schildert die Diskussionen in Landsberg am Lech um eine Aktionistengruppe, die einen von den Nazis gesetzten Gedenkstein für den 1923 von den Franzosen exekutierten Freischärler Albert Leo Schlageter umstießen und nun wegen Sachbeschädigung verurteilt wurden.

Besprochen werden Marcus H. Rosenmüllers Filmkomödie "Schwere Jungs", Hermann Beils Inszenierung von George Taboris "Goldberg-Variationen" in Karlsruhe, ein von Rene Jacobs geleiteter Monteverdi-Abend mit "Marienvesper" und "Combattimento di tancredi e clorinda" an der Berliner Staatsoper und Sachbücher, darunter Volker Gerhardts Studie "Partizipation - Das Prinzip der Politik".

Quellen: spiegel.de

 

 

В. Богунова ã, Москва, 2002 г.

А.Кубрин. Герб РФ, 1995. Маркетри.

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