Leichter als LuftEin Geisterhaus. Ein Gespensterhaus. Ein Unwesen-Anwesen, grau und protzig und einsam auf einer Anhöhe im Wald. Hier hausen Untote: Sie drücken nicht die Wände ein wie in George A. Romeros „Night of The Living Dead“, auf der Suche nach frischem Menschenfleisch, nein, sie gespenstern selber durch die leeren Räume. Und auch nicht mal die Nächte sind unheimlich, sondern das pure Tageslicht, die Wege querwaldein und runter zum See, zum Fluss, zum Wasserfall. Als sei hier alles voller Zeichen und verhext, als käme die „Blair Witch“ gleich um die Ecke, die für immer und ewig unsichtbare. Horrorfilm-Assoziationen, ja, damit fängt es an. Und darin mündet es wieder, ein Gebanntsein, das sich anschleicht erst recht nach Ende des Films und wächst, eines, das sich in Träume einnistet, eine Zwielichtstimmung, die in die Nacht wuchert und dem nächsten Tag entgegen, irgendwas, das aussickert aus diesen Leinwandbildern nicht von dieser Welt. Dabei ist „Last Days“ kein Horrorfilm, sondern will nur listig bescheiden erahnen, wie die letzten zwei, drei Tage von Kurt Cobain ausgesehen haben könnten. Geht in langen Einstellungen durch die Räume, in denen diese Untoten rumgeistern: Groupies, Bandmitglieder, Zufallsbesucher wie der dicke, schwarze „Yellow Pages“-Vertreter oder die beiden heiligen Hosenmätze der Letzten Tage, Werbeleute von der Abteilung Droge Geld und Droge Gott. Und zwischen allen Blake, der Musiker, der aus der Entzugsklinik abgehauen ist, Blake, der sich ein letztes Nest bauen wird in der Nacht im Gartenschuppen, Blake, der für alle und jeden unsichtbare. Zum Thema Blake ist Kurt Cobain, und Blake ist auch nicht Cobain. Er trägt Klamotten, die man an Cobain gesehen hat, den pelzkapuzenbesetzten Riesenparka, den schmuddligroten Schlabbersamtschlafanzug, einmal spielt er auch mit einer Knarre rum, richtet sie auf schlafende Mitbewohner, taumelt, murmelt, lehnt mit dem Rücken an einer Tür, und öffnet die jemand, sinkt er wie ein Sack zur Seite. Blake ist Gus van Sants und Michael Pitts Erfindung, Michael spielt Blake spielt Cobain, und zugleich spielt niemand Cobains rauhe und schreckensschmerzensreiche „Nirvana“-Musik, nein, alles, was hier in der Villa eines einstigen Eisenbahnkönigs im Staate New York aneinander vorbei improvisiert und inszeniert wird, ist frei erfunden. Nur: Es könnte so gewesen sein. Und: In einer Tiefe, die sich feld- und wald- und wiesenläufigen Beweisführungen entzieht und stattdessen von jener traumsicheren Nähe lebt, die Künstler auf ihrem Planeten miteinander verbindet, ist es wahrscheinlich genau so gewesen. „Last Days“ schließt Gus van Sants minimalistische Todestrilogie ab, die mit „Gerry“ und „Elephant“ begann, und ist zugleich der intimste der drei Filme. „Last Days“ kriecht hinein in die Einsamkeit eines Todgeweihten, zieht sie sich wie ein Leichentuch über, und die Kamera, die geduldige, fängt junge, müde Körper in einer fernen Nähe ein, Körper wie Schemen: ein Junge, der im Wohnzimmer „Venus in Furs“ von Velvet Underground auflegt und Lou Reed nachsingt, I am tired, I am weary, I could sleep for a thousand years, ein Paar auch, das engumschlungen zu diesem doppelten Singen tanzt. Nur Blake ist da gerade wieder woanders, Blake ist überhaupt immer gerade woanders, auch in jener Nacht im Gartenhaus, als er, im roten Ewigschlafanzug, alleine zu tanzen beginnt. Und ganz besonders woanders ist er, als Michael Pitt für ihn das selbstkomponierte „Death to Birth“ singt, Michael Pitt, der als Blake für Augenblicke Kurt Cobain ist hinterm blonden Haarvorhang und Gitarrenakkorde rausschrammt immer lauter, it's a long lonely journey from death to birth, bis eine Saite reißt, na und, rausgerissen die Saite und weitergespielt, noch einmal weitergespielt auch das Leben. Eine Meditation, dieser Film. Sie verlangt nach Wahrnehmungstrance und Überwachheit zugleich, sie legt Zeitschleifen aus wie sanfte Fallen, in denen du dich willig verfängst, bis die Zeit keine Rolle mehr spielt, nur noch der Raum und die Räume. Von Béla Tarrs „Satantango“ hat Gus van Sant sich leiten lassen, sagt er, vielleicht auch von Sarunas Bartas, dem litauischen Filmemacher, der so subversiv mit der Zeit umzugehen versteht, von Anläufen in Situationen, die aus anderer Perspektive noch einmal gespielt werden, bis alles Stillstand ist und Bewegung zugleich und Schwindel. Und irgendwann Schwerelosigkeit und das traurigste, schönste Davonschweben der Welt: als sei das Sterben nur Übergang in einen Zustand leichter und leichter als Luft. Fast zwei Jahre sind vergangen, seit „Last Days“ im Wettbewerb von Cannes lief. Dass dieses spröde Meisterwerk, das so Gültiges über die Flüchtigkeit allen Ruhms zu erzählen weiß, nun doch noch ins Kino kommt und damit an seinen einzig angemessenen Platz, ist ein schönes, spätes Geschenk. Am liebsten schreibend drumherum gehen und das Auspacken aufschieben, das wäre es; und es erst behutsam öffnen, wenn die aus Murmelwörtern gewonnene Taumel-Trance da ist, wie bei Blake. Und schon schließt sich der Zauberkreis. Quellen: tagesspiegel.de
В. Богунова ã, Москва, 2002 г. |
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