Was ist Jugendstil ?Der Höhepunkt des Jugendstils lag um die Wende vom 19. ins 20. Jh. Wie bei vielen anderen Kunststilen sind seine Wurzeln vielfältig. Ganz allgemein läßt sich sagen, daß in der rasanten Industrialisierung der gesellschaftliche Hintergrund zu sehen ist. Das traditionelle Handwerk verlor seine starke Stellung und mußte der billigeren und massenhaften Fertigung der modernen Industriestätten weichen. Schon früh hatte es dazu Gegenbewegungen gegeben, vor allem in England, dem Ursprungsland der industriellen Revolution. William Morris (1834-1896) und seine Bewegung Arts and Crafts (Kunst und Handwerk) werden dabei als wichtigste Vorläufer des Jugendstils angesehen. Die von Morris begründeten Werkstätten sollten in Konkurrenz zur zerstückelten Industrieproduktion hochwertiges Kunsthandwerk am Leben erhalten. Baukunst, Malerei, Plastik etc. sollten sozusagen zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen und damit gleichzeitig eine neue Kultur hervorbringen. Dieser Anspruch des Gesamtkunstwerks wird uns bei manchem Prager Architekten der Jugendstilepoche wiederbegegnen wie z.B. bei Jan Kotera. In der Folge dieser Bewegung entstanden vielerorts Kunstgewerbeschulen, darunter auch die 1885 in Prag gegründete Kunstgewerbeschule. In der Architektur hatten im Laufe des 19. Jh. neue Materialien wie Stahl, Eisen und Glas rasch Verbreitung gefunden. Die Vielfältigkeit des verwendbaren Materials ermöglichte neue Ausdrucksmöglichkeiten in Form und Farbe. Der Mitte des 19. Jh. errichtete Bahnhof King's Cross Station in London und vor allem der einige Jahrzehnte später erbaute Eiffelturm waren Vorbilder, die von den Jugendstilkünstlern aufgegriffen und in ihrem Sinne umgestaltet wurden. Der Prager Industriepalast und der Hanavsky-Pavillon sind gute Beispiele dafür. Nicht zuletzt war es die Suche nach einer neuen Identität in einer sich rasch verändernden Welt, die dem Bestreben der Jugendstilkünstler zugrundelag. Die historisierenden Stile wie Neogotik oder Neobarock entsprachen immer weniger dem Zeitgeist vieler Künstler, die nach einer neuen, eigenständigen Ausdrucksform suchten. Nicht umsonst bürgerte sich in Frankreich dafür der Begriff Art nouveau (Neue Kunst) ein, der noch deutlicher als der Terminus Jugendstil die Aufbruchsstimmung beinhaltet. Kein Wunder, daß sich dabei rasch unterschiedliche Strömungen und Richtungen herausbildeten und unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt wurden. Wie jede Verallgemeinerung ist die folgende Charakterisierung des Jugendstils daher etwas holzschnittartig, für das Verständnis dieser Kunstrichtung reicht sie allerdings völlig aus. Fast durchgängig ist der Versuch zu beobachten, die Natur , die in den wuchernden städtischen Ballungszentren zu verloren gehen drohte, in Kunst und Alltag zurückzubringen. Zahllose Pflanzenmotive dominieren die ornamentale Gestaltung, hinzu kommt die Darstellung vieler Tiere. Die 'Natur als Vorbild' drückt sich auch in der Formensprache aus: Geschwungene, fließende Linien wie bei vielen Pflanzen stehen im Vordergrund. Die kunstvoll verflochtenen Ranken und Blüten im Werk des tschechischen Künstlers Alfons Mucha (1860-1939) stehen dafür. Auf die Spitze getrieben hat das im Bereich der Architektur der spanische Architekt Antonio Gaudi (1852-1926), dessen einfallsreiche vielgestaltige Bauten - hauptsächlich in Barcelona - fast den Eindruck eines lebenden Organismus erwecken, losgelöst von ihrer steinernen Hülle. Ein weiteres wesentliches Merkmal war der Versuch, Kunst und Alltag sozusagen zu versöhnen, Kunst im Alltag erlebbar zu machen. Der tschechische Kunstkritiker Frantisek Xaver Salda formulierte das Anfang des Jahrhunderts treffend: "...Zweck ist, an der Verschönerung des Lebens zu arbeiten, am Ganzen zu wirken und dem Ganzen zu dienen...Einheit von Kunst und Leben, wird Gegenstand unseres Hoffens...Wir wollen...eine neue Ehe zwischen Kunst und Leben, eine neue Weihe des Alltags, eine neue Einheit von Schönheit und Arbeit, von Schönheit und Wirklichkeit, eine neue Religion der Menschlichkeit...die dauernd auch in den kleinsten unserer Häuser und in den unruhigsten unserer Gassen, in unseren Gärten, in unseren Uferstraßen, an unseren niederen Schulen und Hochschulen, in unseren Werkstätten und in unseren Krankenhäusern Wohnung nehme...". Der Begriff der Schönheit wird zentral im Schaffen des Jugendstils. Die Art nouveau-Eingänge der Pariser Metro können ebenso unter diesem Blickwinkel betrachtet werden wie die Beispiele der 'Schule von Nancy', wo Künstler wie Emile Galle (1846-1904) komplette Häuser und Wohnungen bis ins Detail künstlerisch ausgestalteten. Ähnliches versuchte Jan Kotera in Prag am Wenzelsplatz mit dem Peterka-Haus, dessen Details er bis hin zu den Türschildern plante. Häufig anzutreffen ist die Verwendung symbolischer Gestalten. Das reicht von der Verwendung symbolträchtiger Tiere wie Adler und Eule bis zur Darstellung historischer Gestalten, die für bestimmte Tugenden oder Ziele stehen. Gerade im Prag des beginnenden 20. Jh., als das Bedürfnis nach nationaler Eigenständigkeit breite Teile der Kunstschaffenden erfasste, hatte die Darstellung von Streitern für eine größere Eigenständigkeit wie Jan Hus oder Frantisek Palacky - beide wurden in einem Denkmal gewürdigt - diesen Hintergrund. Vor allem das Werk von Frantisek Bilek ist von symbolhaften Darstellungen gekennzeichnet. Das Moment von Verklärung und Mystik ist aus dem Jugendstil nicht wegzudenken. So sind die dargestellten Frauen von fast engelhaftem, überirdischem Wesen, häufig auf ein sinnliches Dasein reduziert. Die junge, verführerische Frau wird zu einem Hauptmotiv, der Traum der fast durchweg männlichen Künstler bestimmt die Darstellung. Jugendstil umfasste fast alle Kunstgattungen:
Quellen: schwarzaufweiss.de
В. Богунова ã, Москва, 2002 г. |
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